Vor über zwei Jahren von irgendwo im Nirgendwo in Niederösterreich wegen des Studiums nach Wien gezogen, glaubt man fast gar nicht mehr, dass ich nicht von hier bin.

 Zumindest was das Sudern und Raunzen auf stündlicher Basis betrifft. Das kann ich schon so gut, als wäre ich hier geboren. Aber es gibt ja auch wirklich viel, worüber man sich aufregen kann. Vier Minuten auf die U-Bahn warten zum Beispiel. Oder Ausfälle des Internets, wenn gerade eine neue Staffel einer guten Serie auf Netflix herausgekommen ist. Oder auch unwichtigere Dinge wie Politik, gesellschaftliche Normen, den Weltfrieden oder Leute, die keinen Sarkasmus verstehen. 
Und Sushi. Wie konnte ich nur 20 Jahre meines Lebens ohne 24/7 bestellbares Sushi überleben? Es ist und bleibt mir ein Rätsel, wie ohne rohen Fisch doch irgendwas aus mir geworden ist. Hie und da gefällt mir also auch mal was. Sushi eben, zum Beispiel. Oder Fortgehen, am liebsten zu Techno und bis zur Mittagszeit. Auch darüber kann man hier – seltener als über meine Suderei, aber doch – was lesen.

von Alexander Friedrich 21. Februar 2018
Wenn die Vögel verstummen und die Teiche in tiefes Schwarz getaucht sind, dann bin ich frei. Ich bin frei, das zu tun, was ich möchte, denn nach Einbruch der Dunkelheit wird nichts mehr von mir erwartet. Genauso bin ich frei, nichts zu tun, ohne mich dafür in Gedanken selbst geißeln zu müssen. Das „Muss“ wird zu einem „Soll“ und das „Soll“, je später die Stunde voranschreitet, zu einem „Kann“. Ebenfalls wird „ich will“ zu „ich darf“, was wiederum irgendwann, weit nach null Uhr, zu „ich kann“ mutiert. Pflichten werden zu Gedanken, die nach den Sonnenaufgang verschoben werden, Träume und Wüsche werden zu Taten, die alsbald umgesetzt werden.

Die Nacht ist einfach, genau strukturiert und trotzdem aufs höchste Maß chaotisch. Man verliert sich in detaillierten Gedanken, kann nicht zwischen wichtig und unwichtig differenzieren, doch trotzdem hat man das Gefühl der Zufriedenheit, des Weit- und des Überblicks über sein Leben und die eigene Gedankenwelt. Hier muss erst der nächste Morgen Klarheit und Licht ins Dunkel bringen. Dieses Licht schmälert aber die Selbstreflexion keineswegs, auch wenn es aufdeckt, nichts als Kleinigkeiten und vor allem nicht das große Ganze beleuchtet zu haben. Die Nacht macht alles besser, genau wie man selbst in der Nacht alles besser macht, doch der Überblick, den erst das Licht wieder zum Vorschein bringt, fehlt.  

Nächtens ist es leicht loszulassen und das zu tun, was man tun möchte, es ist aber harte Arbeit, sich nicht in Gedanken zu verlieren. Das ist die größte Gefahr nachdem die Sonne untergeht und der Mond sich am Nachthimmel breit macht – nicht die Dunkelheit oder das, was sich darin verbergen mag, nicht die Details, in denen man sich verliert und dabei den Weitblick außen vor lässt –  sondern die Gedanken, die in einem aufkeimen und sich von einem kleinen wurzellosen Samen zu einem Urwaldriesen entwickeln. Diese Gedanken muss man im Zaum halten, da sie sich sonst unkontrolliert vermehren und zu einer Epidemie werden, die tief in die Psyche eindringt und den Schlaf, wenn sich die Nacht dem Ende neigt, unmöglich macht. Diese Gedanken beschäftigen einen auch noch weit nachdem die Sonne wieder über den Horizont steigt, womöglich bis die nächste Nacht hereinbricht, wo die Vögel verstummen, die Teiche in tiefes Schwarz getaucht sind und ich frei bin, das zu tun, was ich möchte...
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